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Subtypen der Anorexia nervosa

Die Untersuchung der haptischen Wahrnehmung von Anorexia nervosa Patientinnen (n=32) zeigten, daß die Verarbeitung entspechender Reize bei anorektischen Patienten auch nach deutlicher Gewichtszunahme im Rahmen einer Therapie beeinträchtigt ist. Die elektrophysiologischen Befunde (spektrales EEG) deuten auf eine Störung der integrativen Funktionen des rechten parietalen Kortex hin.

Die Ergebnisse der Untersuchungen  erbrachten jedoch noch einen weiteren, wesentlichen Aspekt. Offensichtlich ist die Störung der haptischen Wahrnehmung nicht bei allen anorektischen Patientinnen gleichermaßen ausgeprägt. Werden die Patientinnen nach der Leistung im Haptik-Test einer von zwei Gruppen zugeordnet (Gruppe A: relativ gut, Gruppe B: deutlich schlecht) zeigt sich auf verschiedenen Ebenen eine Korrespondenz der Gruppenzuordnung. Beide Gruppen unterscheiden sich demnach hinsichtlich bestimmter Persönlichkeitsmerkmale und - das erscheint mir noch viel bedeutsamer - hinsichtlich der hirnelektrischen Aktivität über bestimmten Kortexarealen. Hinsichtlich der Variablen Alter, BMI und Intelligenz zeigten sich keine Gruppenunterschiede.

Somit könnte diese Beobachtung ein Indiz dafür sein, dass innerhalb der Störung Anorexia nervosa mindestens zwei Grundtypen ausgeprägt sind. Die eine Gruppe, mit weniger schwerer Symptomatik, geringeren hirnelektrischen Auffälligkeiten und relativ guten Leistungen im Haptik-Test könnte als "Kompensations-Anorexia" bezeichnet werden. Im Vordergrund steht hier eine neurotische Verarbeitung adoleszenter Themen. Die andere Gruppe, mit deutlich schlechten Haptik-Leistungen, auffälligen EEG-Befunden und schwerer Symptomatik könnte als "Defizit Anorexia" bezeichnet werden. Neben der neurotischen Verarbeitung adoleszenter  Themen wird die Erkrankung wesentlich durch hirnorganische Defizite bestimmt. Letztere sind für den Zerfall und die Verzerrung der Körperwahrnehmung sowie für die außerordentlich schwere therapeutische Zugänglichkeit verantwortlich.