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Implizite und explizite Gedächtnisleistungen

Werner Wippich

Obwohl beträchtliche Informationsmengen durch unsere Hände gehen und täglich begriffen werden, ist das Wissen über gedächtnismäßige Konsequenzen haptischer Erfahrungen immer noch gering. Dies mag zum einen daran liegen, daß es bereits der haptischen Wahrnehmungsforschung Probleme bereitet, definitive Aussagen zu formulieren. Zum anderen sind relativ heterogene Forschungsparadigmen verwendet worden, um haptische (oder auch nur taktile) Gedächtniseffekte zu prüfen, ein Sachverhalt, der angesichts der komplexen sinnesphysiologischen Grundlagen nicht überrascht. So liegen Untersuchungen vor, bei denen blind ausgeführte Bewegungen reproduziert [13], auf der Unterseite des Arms berührte Hautstellen nach kurzen Behaltensintervallen lokalisiert [4] oder auf die Hand geschriebene Buchstabenfolgen erinnert wurden [7]. Die genannten Untersuchungen zeichnen ein eher ungünstiges Bild der Persistenz taktiler oder haptischer Erfahrungen. Untersuchungen zum Erwerb des Braille-Systems, bei denen die Zeichen mit den Fingern aktiv exploriert werden konnten, zeigen zwar bessere Ergebnisse, doch auch hier wird von einer visuellen Dominanz gesprochen, weil Zuordnungen von Zeichen zu Buchstaben nach visuellen Lernbedingungen besser gelingen [5]. 

Die zumal aus gedächtnispsychologischer Perspektive eher negative Sicht des Tastsinns ist korrekturbedürftig. Hierfür gibt es mindestens drei Gründe. Erstens zeigen differenziertere Untersuchungen zur haptischen Wahrnehmung, die vor allem von Klatzky angeregt wurden, erstaunlich effiziente Leistungen. Wenn reale Objekte bei verbundenen Augen aktiv betastet werden können, ist schon innerhalb einer Sekunde ein präzises Erkennen möglich [9]. Offenbar beruht die haptische Wahrnehmung auf eigenständigen Kodierungsprozessen, die als explorative Prozeduren beschrieben werden [10]. Damit sollte sich auch die Chance erhöhen, beträchtliche Gedächtniseffekte für haptische Erfahrungen nachweisen zu können. Zweitens ist innerhalb der Gedächtnispsychologie festzustellen, daß motorischen Aktivitäten, die auch für haptische Erfahrungen mit Objekten charakteristisch sind, eine für Behaltensleistungen förderliche Funktion zugeordnet wird [3]. So konnte beispielsweise gezeigt werden, daß nach der Präsentation von Objekten sich die Leistungen bei der Reproduktion der Objekte deutlich verbesserten, wenn im Vergleich zum bloßen Sehen die zusätzliche Möglichkeit gegeben war, die Objekte mit den Händen zu explorieren [14]. 

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