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Defizite der Körper-Raum-Lage Repräsentation bei Anorexia nervosa: Ein neues experimentelles Paradigma und erste Ergebnisse

Fragestellung:

Von verschiedenen Arbeitsgruppen wird angenommen, dass bei Anorexia nervosa (AN) eine rechtshemisphärische Verarbeitungsstörung vorliegt. Eigene Untersuchungen zur haptischen Wahrnehmung deuten darauf hin, daß insbesondere eine Dysfunktion des rechten parietalen Kortex (rPK) bei AN vorliegt. Die vorliegenden Befunde sind jedoch aufgrund des relativ ungenügenden Skalenniveaus der experimentellen Daten nicht dazu geeignet eine funktionale Störung des rPK bei AN sicher anzunehmen. Es wurde deshalb ein experimentelles Design entwickelt, welches erlaubt, auf Maßskalenniveau Abweichungen der Körper-Raum-Lage Repräsentation bei AN zu erfassen bei gleichzeitiger Kontrolle der hemisphärischen Darbietung und Verarbeitung.

Methode:

Die Aufgabe bestand darin, die Lage eines Winkelschenkels im Raum mit geschlossenen Augen und der jeweils ipsilateralen Hand (linker Winkelschenkel=linke Hand usw.) zu erkennen und diese vorgegebene Winkelstellung (Soll-Wert) mit der anderen Hand an einem zweiten Winkelschenkel nachzustellen. Es wurden jeweils 10 Aufgaben für die linke Hand und 10 Aufgaben für die rechte Hand gestellt. Gemessen wurde die Differenz zwischen Vorgabewinkel (Soll-Wert) und Einstell-Wert sowie die hierzu benötigte Einstellzeit. 

Aufbau der Versuchsanordnung (Beispiel: Rechts-Parallel) mit Kopfhalterung, Kontaktschalter, Messwertausgabe, digitaler Meßaufnehmer der Winkelstellung, Winkelschenkel. 

Population:

16 Patientinnen mit AN; durchschnittlichen Alter 15.31 (sd: 1.79); mittlerer BMI 14.81 (sd:1.05). Kontrollen: 16 gesunde Mädchen/ Frauen im Alter von 16.31 (sd: 1.04) und einem mittleren BMI von 19.24 (sd: 1.67). Der mittlere IQ betrug in der Patientengruppe 113.5 (sd:12.35) und in der Kontrollgruppe 111.0 (sd:10.48). Signifikante Gruppenunterschiede hinsichtlich dieser Parameter ergaben sich nur für die BMI-Werte (t-test zweiseitig; t=-8.66, p=.000). 

Ergebnisse:

Die statistische Prüfung der Gruppendifferenzen erfolgte mulitvariat mit ANOVA (Regressionsmodell). Die post-hoc Analysen wurden mit dem t-test für unabhängige Stichproben (zweiseitig) durchgeführt. Die mittlere Winkeldifferenz der AN Gruppe betrug über alle Aufgaben 4.29 Grad, die der Kontrollgruppe 5.13 Grad (sig. Diff.). Die Interaktionseffekte der Parameter  (GRUPPE x LINKS/RECHTS): F(1,633)=3.75, p=.053 zeigten relativ deutliche Differenzen zwischen den Untersuchungsgruppen bezogen auf den Vergleich zwischen den LINKS/RECHTS-Aufgabentypen. Die post-hoc Analyse ergab, daß die Winkelabweichung der anorektischen Patientinnen offensichtlich nur bei der RECHTS-Aufgaben (linke Hand=Soll-Wert; rechte Hand= Einstellwert) signifikant höher war gegenüber der Kontrollgruppe (tre=4.016, p=.000) und dieser Effekt bei den LINKS-Aufgaben nicht beobachtet werden konnte (tli=1.381, p=.168). In beiden Fällen zeigten sich keine Gruppeneffekte hinsichtlich der Explorationszeit.

Interpretation:

Die deutlich erhöhten Winkeldifferenzen der AN-Gruppe während der RECHTS-Aufgaben werden als experimenteller Nachweis einer funktionalen Störung des rechten parietalen Kortex bei AN Patientinnen gewertet. Es wird angenommen, daß diese Dysfunktion des rPK eine wesentliche Ursache für die fehlerhafte Kodierung von Körper-Raum-Lage Informationen im Rahmen der Körperschemarepräsentation bei AN darstellt.

Veröffentlichung:

Grunwald, M., C. Ettrich, F. Busse, B. Assmann, A.Dähne,  H.-J. Gertz (2002). Angle Paradigm: A New Method to Measure Right Parietal Dysfunction in Anorexia Nervosa. Archives of Clinical Neuropsychology 17/5, 485-496. 

 

siehe: Test- und Trainingssysteme: Haptimeter