Im Gegensatz zur taktilen Schwelle, die bei passiver Reizdarbietung erfolgt (die Versuchsperson bewegt dabei ihre Finger nicht, siehe Zweipunktschwelle von E. H. Weber) erfolgt die Ermittlung der haptischen Schwelle durch aktive Tastexploration der Versuchsperson. Die taktile Schwelle an der menschlichen Fingerkuppe beträgt 1-2mm. Die haptische Schwelle durch experimentelle Verfahren ermittelt kann 1µm betragen (Louw, S., Kappers, A.M.L. et al. 2000, Exp. Brain Res. 132, 369-374.). D.h., bei aktiver Exploration kann die menschliche Fingerkuppe Unterschiede ab 1µm registrieren (1mm=1000µm). Das visuelle System kann erst ab 80-100µm Unterschiede wahrnehmen.
Bei der Ermittlung haptischer Schwellenwerte nutzt man in der Regel Testverfahren, die es erforderlich machen, dass die Probanden während der Testung die Augen schließen oder es werden die explorierenden Hände verdeckt. Ziel unseres Projektes war es ein Verfahren zu entwickeln, das die Ermittlung der individuellen haptischen Schwellenwerte erlaubt, ohne dass die Probanden die Augen während der Testung schließen müssen bzw. die Hände verdeckt werden müssen.
Das Ziel wurde dadurch erreicht, dass die relevante Stimulusstruktur mit einer mehrschichtigen, lichtundurchlässigen Trennschicht verdeckt wird, so dass die Stimulusstruktur nicht gesehen aber erfühlt werden kann. Die patentierte Trennschicht (Titel: Anordnung zur haptischen Erkennbarkeit von Objektstrukturen und Objektmerkmalen; Deutsches Patentamt Nr. DE 102010022699.8; Erfinder: Dr. Martin Grunwald, Anmelder: Universität Leipzig, Anmeldedatum: 2010) ermöglicht eine stets definierte Dehnungs- und Dämpfungscharakteristik.
Mit dem vorliegenden Testsystem kann die untersuchte Person, bei geöffneten Augen, parallel angeordnete Höhenreliefs - die von einer Trennschicht verdeckt sind - ertasten und das Schwellen-Pad in der entsprechenden Orientierung ausrichten. Im vorliegenden Test wird gefordert, daß die Reliefs horizontal (siehe Beispiel Schwellen-Pad) ausgerichtet werden. Dabei wird von einem zulässigen Fehlerbetrag von 20° ausgegangen. D.h., Schwellen Pads, die im Gradbereich von 0° - 20° ausgerichtet sind, werden als richtig orientierte Schwellen Pads gewertet. Beträgt die Abweichung gegenüber der Horizontalen mehr als 20° wird dieses Schwellen-Pad als nicht erkannt gewertet. Da neben der generellen Unterschiedsdiskrimination in diesem Test noch zusätzlich eine Orientierungsdiskrimination erfolgen muss, eignet sich dieser Schwellentest besonders für berufliche oder berufsbezogene Anwendungsbereiche. Im Rahmen von Untersuchungen/ Ausbildung können Lern-, und Trainingseffekte der Haptischen Schwellen sicher operationalisiert werden.
Aufbauprinzip
Unterhalb der undurchsichtigen Trennschicht befindet sich pro Schwellen- Pad ein fortlaufendes Höhenrelief. Der Reliefabstand von Pad zu Pad variiert in Schrittweiten von 200µm. Beim Schwellenpad Nr. 1 beträgt der Reliefabstand (Peak-to-Peak) 3000µm (3mm), beim Schwellenpad Nr. 15 beträgt der Reliefabstand nur noch 200µm.
Physikalische Charakteristik der Trennschicht
Das maximale Dehnungsverhalten der Trennschicht bei einer senkrechten Punktbelastung von 150mN auf einer Messstrecke pro Pad von 4000µm und einer Schrittweite von 100µm wird in der nachfolgenden Tabelle (rechte Spalte) dargestellt. Diese Werte stellen bei gegebener punktförmiger Druckkraft die maximale Dehnung des Materials zwischen zwei Reliefrillen dar. Dieses Messverfahren entspricht einem Annäherungsverfahren an die erzeugte Oberflächenstruktur bei menschlicher Exploration. [Zu lesen sind diese Werte wie folgt: Wird die Trennschicht der Schwellen-Pads mit einer Punktmasse von 150g und einer Beschleunigung von 1m/s² berührt, dann erfolgt eine Verformung der Trennschicht um einen entsprechenden Betrag in µm (siehe Tabelle).
Schwellen-Pad
Nummer
Peak-to-Peak
Abstand
durchschnittliche Dehnungswerte
in micrometer
bei 150 mN (Indenterspitze senkrecht)
ausgewählte Publikationen zum Haptik-Schwellen-Test
Mueller, S.M., Bernigau, D., Muelling, C., Grunwald, M. (2019). Does studying veterinary medicine improve students' haptic perception ability? A pilot study. Journal of veterinary medical education. doi: 10.3138/jvme.0417-051r. (PDF)
Mueller, S., Winkelmann, C., Krause, F., & Grunwald, M. (2014). Occupation related long-term sensory training enhances roughness discrimination but not tactile acuity. Experimental Brain Research Volume 232, Issue 6, pp 1905-1914. (PDF)
Müller, S., Grunwald, M. (2013). Haptische Wahrnehmungsleistungen: Effekte bei erfahrenen und unerfahrenen Physiotherapeuten. Manuelle Medizin, 51, S. 473-478. (PDF)